Neuntöter (Lanius collurio)

Neuntöter, Männchen © Lutz DöringNeuntöter, Männchen © Lutz Döring

Verbreitung

Der Neuntöter ist westpaläarktisch in der südlichen borealen, gemäßigten, mediterranen und Steppenzone verbreitet. Das Brutareal erstreckt sich von Nordspanien und Südskandinavien bis nach Kasachstan. Der Bestand auf den Britischen Inseln ist Ende der 1980er Jahre erloschen. Die Nordgrenze der Verbreitung erreicht 66 °N in Finnland und 64 °N in Russland. Die südliche Arealgrenze zieht sich durch Nordspanien, Nordsizilien, Israel, das Elbrusgebirge bis zum Aralsee (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1993). Die mit Abstand größten Bestände in Europa befinden sich in Russland und Rumänien, gefolgt von Spanien, Bulgarien und Kroatien. Die Siedlungsdichte nimmt von West nach Ost zu (FORNASARI et al. in HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Deutschland wird, abgesehen von Verbreitungslücken in Schleswig-Holstein und am Niederrhein, flächendeckend besiedelt. In den westdeutschen Tieflandbereichen brütet die Art in wesentlich geringeren Dichten als in Ostdeutschland und den Mittelgebirgslagen (NICOLAI 1993a, RHEINWALD 1993). Die flächendeckende Verbreitung in Sachsen-Anhalt wird nur durch kleine Lücken in den strukturarmen Ackerebenen unterbrochen. Besonders hohe Dichten (lokal bis 10 BP/km²) wurden am Südharzrand, an südexponierten Talhängen von Saale und Unstrut und auf den Kupferschieferhalden im Mansfelder Land gefunden (GNIELKA & ZAUMSEIL 1997).

Ökologie und Zugstrategie

Der Neuntöter brütet in offenen bis halboffenen Landschaften, die reich strukturiert und thermisch begünstigt sind. Er bevorzugt Flächen mit hoher Sonneneinstrahlung, mit fehlender oder niedriger Vegetation und mit Sträuchern, die als Niststandort bzw. Jagd- und Beobachtungswarten dienen können. In sonnigen Lagen werden die Nester meist in Schlehen-, Weißdorn- oder Heckenrosenbüschen gebaut. Entsprechend dieser Habitatansprüche werden in Mitteleuropa besonders extensiv genutzte Kulturlandschaften wie Trockenrasen, Heckenlandschaften mit Weiden, Feldgehölze, Weinberge, Ödland, Streuobstwiesen, Kahlschläge und niedrige Schonungen, gebüschreiche Waldsäume und verwilderte Gärten besiedelt (BEZZEL 1993, GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1993). Der Neuntöter überwintert als Langstreckenzieher in Ost- und Südafrika. Die Überwinterungsgebiete erstrecken sich von Uganda und Südkenia bis Südwest-Afrika und die östliche Kapprovinz. Die europäischen Brutvögel erreichen Afrika über das östliche Mittelmeer. Ihre Heimzugroute liegt weiter östlich (Schleifenzug). Der Wegzug beginnt in Mitteleuropa Mitte Juli. Die Brutreviere werden ab Anfang Mai wieder besetzt (BEZZEL 1993).

Bestandsentwicklung

In Mitteleuropa waren bis in die 1950er Jahre Bestandsanstiege zu verzeichnen. Anschließend nahmen die Vorkommen europaweit drastisch ab. Besonders betroffen davon waren die Regionen an der nördlichen und westlichen Arealgrenze. Nur aus den südosteuropäischen Dichtezentren werden stabile Bestände gemeldet. Dank intensiver Schutzbemühungen erholen sich seit Ende der 1970er bzw. seit den 1980er Jahren die Brutbestände in vielen Gebieten Mitteleuropas. In Deutschland brüteten in den 1980er Jahren ca. 150.000 BP (RHEINWALD 1993). Im Jahr 1994 waren es nur noch 70.000-140.000 BP, was einer mehr als 20 %igen Bestandsabnahme entspricht (WITT et al. 1996). Davon abweichend gibt KOWALSKI (1987) 35.000 BP für Mitte der 1980er Jahre an. Nach KOWALSKI (1993) ist der Bestand Anfang der 1990er Jahre auf 71.000-89.000 Paare gestiegen. In Sachsen-Anhalt ist der Neuntöter eine häufig brütende Vogelart, deren Brutpaaranzahl ebenfalls um mehr als 20 % abgenommen hat (DORNBUSCH 1999, WITT et al. 1996). Seit 1991 erholen sich die Bestände deutschlandweit (FLADE & SCHWARZ 1996). GNIELKA & ZAUMSEIL (1997) geben für den Südteil des Bundeslandes Anfang der 1990er Jahre 5.500-12.000 BP an und gehen ebenfalls von einer Bestandserholung aus. Nach KOWALSKI (1993) brüten 10.000-15.000 BP in Sachsen-Anhalt, im Jahr 2015 10.000-18.000 BP.

Gefährdung und Schutz

Neben klimatischen Einflüssen wird der Neuntöter hauptsächlich durch Habitatverlust und -veränderungen bedroht. Das Brutplatzangebot wird durch den Verlust von Hecken, durch Aufforstungen, Baumaßnahmen, Grünlandumbruch und Nutzungsaufgabe minimiert. Das Nahrungsangebot leidet unter Intensivierungsmaßnahmen der Landwirtschaft wie Biozid- und Düngemitteleinsatz, Verlust der Feldraine und Vergrößerung der Bewirtschaftungseinheiten. Nutzungsänderungen und anhaltende Dürreperioden bedrohen auch die Überwinterungshabitate in Afrika. Außerdem ist der Neuntöter durch direkte Verfolgung auf den Zugwegen gefährdet (BAUER & BERTHOLD 1997, BAUER & THIELKE 1982, GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1993, TUCKER & HEATH 1994). Die Erhaltung reich strukturierter, extensiv genutzter Landschaftsbereiche kann Bestandsrückgänge vermeiden. Die Förderung extensiver Beweidungen, die Erhaltung und Neuanlage strukturierter und vernetzter Hecken, das Ausgrenzen unbewirtschafteter Restflächen wie Feldraine, Brachen, Ruderal- und Staudenfluren und ein verminderter Biozideinsatz vergrößern das Nahrungs- und Nistplatzangebot. Außerdem ist auf eine Einstellung der Bejagung in allen Durchzugs- und Überwinterungsgebieten zu dringen (BAUER & BERTHOLD 1997, BAUER & THIELKE 1982, HÖLZINGER 1987).

 

Rote Liste Deutschland:                    Ungefährdet (5. Fassung, Stand November 2015)

Rote Liste Sachsen-Anhalt:               V – Art der Vorwarnliste (3. Fassung, Stand November 2017 Vorabdruck)

Literatur

entnommen aus:

Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (2003): Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt - Die Vogelarten nach Anhang I der Europäischen Vogelschutzrichtlinie im Land Sachsen-Anhalt. Halle (Saale). 223 S.

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