Weißsterniges Blaukehlchen (Luscinia svecica cyanecula)

Weißsterniges Blaukehlchen © Sander Meertins/Fotolia.comWeißsterniges Blaukehlchen © Sander Meertins/Fotolia.com

Verbreitung

Das Blaukehlchen (Luscinia svecica) ist über die gesamte Paläarktis verbreitet und tangiert mit seinen Vorkommen an der Westküste Alaskas die Nearktis. Die zonale Verbreitung erstreckt sich vom Nordrand der Strauchtundra bis in die Steppenbereiche sowie in einige südpaläarktische Gebirge, u.a. Pamir, Tien Schan, Altai und Himalaja. Das Areal wird von acht bis zehn Unterarten bewohnt, die zwei Subspeziesgruppen angehören: svecica-Gruppe (meist rotsternig) und cyanecula-Gruppe (überwiegend weißsternig). Das Rotsternige Blaukehlchen (L. s. svecica) brütet in der arktischen und borealen Zone von Skandinavien über Nordsibirien bis Westalaska und besiedelt auch südlich gelegenere, tundrenähnliche Habitate in den Alpen, im Riesengebirge, in der Hohen Tatra und in den Ukrainischen Karpaten (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1988, MEIJER & STASTNY in HAGEMEIJER & BLAIR 1997). Das Vorkommen des Weißsternigen Blaukehlchens (L. s. cyanecula) umfasst die gemäßigten Breiten Mittel- und Osteuropas und schließt sich südlich bzw. südwestlich an das Teilareal von L. s. svecica an. Die lückenhafte Verbreitung erstreckt sich von Ostfrankreich über die Tieflandbereiche der Niederlande, Deutschlands und Polens bis nach Weißrussland, der Ukraine und Mittelrussland. Inselartige Vorkommen befinden sich u.a. in Ungarn und im nördlichen Alpenvorland. Noch im 19. Jahrhundert war das Weißsternige Blaukehlchen in Deutschland weit verbreitet (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1988). Die sehr lückenhaften Vorkommen zum Ende des 20. Jahrhunderts beschränken sich hauptsächlich auf das Emsland, Bayern, Nordwürttemberg, Rheinhessen, Vorpommern sowie Nordost- und Ostbrandenburg (NICOLAI 1993a, RHEINWALD 1993). In Sachsen-Anhalt ist das NSG Schollener See mit 10-15 BP der wichtigste Brutplatz (FREIDANK & PLATH 1982). Ende April/Anfang Mai 1998 konnten Friedrichs & Trapp (in GEORGE & WADEWITZ 1999) insgesamt 11-13 singende Männchen am Schollener See zählen. Im Südteil des Bundeslandes gelang 1992 der erste Brutnachweis nach über 30 Jahren auf dem Pfingstanger südlich von Halle (STENZEL 1993). Weitere Brutnachweise bzw. Brutzeitbeobachtungen erfolgten in den 1990er Jahren in den ehemaligen Braunkohlentagebauen Geiseltal und Roßbach-Süd/LK Merseburg Querfurt, im Becken des Salzigen Sees/LK Mansfelder Land, an den Aderstedter Teichen/LK Halberstadt, in der Elbeaue nordöstlich von Rogätz/LK Ohrekreis, auf der Rabeninsel/Halle, an der Alten Elbe Bertingen/LK Jerichower Land, am Kerner-See/LK Mansfelder Land und im Raum Jessen/LK Wittenberg (Beobachter s. GEORGE & WADEWITZ 1997-2001, STENZEL in GNIELKA & ZAUMSEIL 1997).

Ökologie und Zugstrategie

Das im Tiefland brütende Weißsternige Blaukehlchen ist an nasse Standorte mit offenem Süß- oder Brackwasser gebunden, auf denen ein Mosaik aus vegetationsarmen und deckungsreichen Flächen wie z.B. Gebüsche, Altschilf oder Hochstaudenfluren ausgebildet ist. Primäre Brutareale sind verlandende Niedermoor- und Gewässerbereiche. In der Kulturlandschaft werden Kiesgruben, Be- und Entwässerungsgräben, Dämme von Fischteichen u. ä. besiedelt (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1988). Das Weißsternige Blaukehlchen ist dem Zugverhalten nach ein Mittel- bis Langstreckenzieher, der regelmäßig in Südportugal und Nordafrika, aber hauptsächlich in den Trocken- und Feuchtsavannen südlich der Sahara von Senegal und Guinea bis Nigeria überwintert. Im Juli verlässt es die Brutplätze, der eigentliche Abzug setzt im August ein und endet Mitte Oktober (GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1988). In Sachsen-Anhalt wurde das Durchzugsmaximum 1996 in der dritten Septemberdekade erreicht (GEORGE & WADEWITZ 1997). Die Rückkehr in die Brutgebiete beginnt Ende März (BEZZEL 1993).

Bestandsentwicklung

Kurze und erhebliche Bestandsschwankungen sowie die Besiedlung spezieller Lebensräume überlagern langfristige Bestandstrends. In Mitteleuropa und Deutschland begann die Bestandsabnahme der Art bereits im 19. Jahrhundert und dauerte gebietsweise bis Ende der 1970er Jahre an. Die einstigen großflächigen Vorkommen schrumpften auf kleine Verbreitungsinseln zusammen. Seit den 1980er Jahren sind Bestandsanstiege und Arealerweiterungen festzustellen, die in einzelnen Regionen auch schon früher auftraten wie z.B. in Nordbayern. Bei den Neuansiedlungen werden als Habitate Grabensysteme in intensiv bewirtschafteten Grünlandbereichen und Rapsfelder bevorzugt (BAUER & BERTHOLD 1997). Die Bestandszunahme wird auch in anderen mitteleuropäischen Ländern beobachtet, so u.a. in den Niederlanden, Belgien, Österreich, Tschechien und der Slowakei. Die gesamte cyanecula-Population zählt gegenwärtig ca. 60.000 BP (MEIJER & STASTNY in HAGEMEIJER & BLAIR 1997). In Deutschland hat der Bestand zwischen 1970 und 1990 um mehr als 20 % zugenommen und umfasst 1.400-2.900 BP (WITT et al. 1996), zwischen 2005 bis 2009 wurden 8.500-15.000 BP gezählt. In Sachsen-Anhalt wurden 1995 und 1997 je 12 BP, 1998 und 1999 je 15 BP und im Jahre 2000 wieder 12 BP festgestellt (DORNBUSCH 2002). 2015 wurden im Bundesland insgesamt 220-270 BP gezählt.

Gefährdung und Schutz

Das Weißsternige Blaukehlchen ist besonders durch anthropogene oder sukzessionsbedingte Lebensraumverluste gefährdet. Diese werden durch Gewässerausbau, Deicherhöhungen, Entwässerungsmaßnahmen, durch die Melioration von Moor- und Feuchtgebieten, die Beseitigung von Altwässern und Schilfflächen sowie durch die Rekultivierung und Bebauung von Abbauflächen verursacht. Weitere Gefährdungsursachen sind der Biozideinsatz, die Störung der Brutplätze, die direkten Verfolgung und klimatische Veränderungen (BAUER & BERTHOLD 1997, BAUER & THIELKE 1982, GLUTZ VON BLOTZHEIM & BAUER 1988). Alle bedeutenden Brutgebiete müssen unter Schutz gestellt und werden durch entsprechende Managementmaßnahmen sind frühe Sukzessionsstadien zu erhalten. Für die weitere Ausbreitung der Art sollten Be- und Entwässerungsgräben in stark landwirtschaftlich genutzten Gebieten artgerecht gestaltet und Abbaugebiete aufgelassen werden. Störungen und Verfolgungen der Art sind zu verhindern (BAUER & BERTHOLD 1997, BAUER & THIELKE 1982, HÖLZINGER 1987).

 

Rote Liste Deutschland:                    V – Vorwarnliste (5. Fassung, Stand November 2015)

Rote Liste Sachsen-Anhalt:               Ungefährdet

Literatur

entnommen aus:

Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (2003): Naturschutz im Land Sachsen-Anhalt - Die Vogelarten nach Anhang I der Europäischen Vogelschutzrichtlinie im Land Sachsen-Anhalt. Halle (Saale). 223 S.

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